Nachbericht Claudia Sprinz, Andrea Görsch, Katja Rosenbohm: Sprache lebt! Von Freiheit, Freude und Geschlechtergerechtigkeit

Beim Vortragsabend am 27. September 2023 ging es ums Schreiben. Darum, wie wir mit Begeisterung (Teil 1) und dabei aufmerksam und gut (Teil 2) schreiben.

Zum Auftakt wirft uns Schreibexpertin Claudia Sprinz gleich ins kalte Wasser: Wir sollen Stift und Papier in die Hand nehmen und 30 Sekunden drauflos schreiben. Und zwar nicht irgendwas, sondern drei bis fünf Stichworte zu unseren Erwartungen: Wie verläuft der Abend? Was könnte passieren? Wie wirst du dich fühlen? Wie sich herausstellt, fällt es nicht allen leicht, so auf Kommando zu schreiben. Für Claudia Sprinz dagegen ist Schreiben „so normal wie für andere Leute das Atmen“, es hat sie schon immer glücklich gemacht und sie möchte diese Schreibfreude auch anderen vermitteln.

 Was ist überhaupt Glück?

Um das mit der Schreibfreude zu verstehen, fragen wir uns erst einmal, was Glück denn überhaupt ist. Glück hat viele Facetten, aber im wesentlichen gibt es zwei Arten, es zu empfinden: kurzfristige Glücksmomente und langfristiges Lebensglück. Letzteres hat viel mit der eigenen Einstellung zu tun, genauer mit der Fähigkeit, auch in kleinen Momenten das Glück erkennen zu können.

Schreiben als Weg zu uns selbst

Unser Netzwerk, die Menschen, mit denen wir uns umgeben, haben einen großen Einfluss auf unser Glück. Eine Person, die die anderen herunterzieht, wirkt auf alle. Es ist also wichtig, darauf zu achten, was wir an uns heranlassen. Unser Leben lang stehen wir unter dem Einfluss von Eltern, Schule, Medien, Institutionen. Noch dazu bekommen wir permanent Krisenbotschaften vermittelt. Wenn etwas Negatives auf uns zukommt, verursacht das ziemlichen Stress; gleichzeitig sind wir genetisch so programmiert, dass vor allem das Negative unsere Aufmerksamkeit bekommt.

Schreiben ist eine ganz einfache Möglichkeit, unser Denken unter die Lupe zu nehmen und uns wieder auf unseren Kern zu besinnen. Wer dazu neigt zu grübeln: Schreib dir deine Gedanken einfach von der Seele, nimm irgendein Schmierpapier dazu, dann kannst du einfach wegwerfen, was weg kann. Oder beantworte die Fragen: Wofür bist du dankbar? Worauf bist du stolz? Schreib auch auf, und zwar jeden Tag, was dein Leben bereichert.

Schreiben als Denkwerkzeug

„Gerade wenn ihr selbstständig seid, habt ihr sicher permanent tolle Ideen“, meint Claudia. Da heißt es, sie aufzuschreiben, bevor sie ungenutzt verschwinden. Pläne und Ziele: aufschreiben. Was hat gut funktioniert, was hat nicht funktioniert: notieren. Dazu braucht es weder Rechtschreibung noch eine schöne Handschrift, sondern einfach ein Blatt Papier und einen Stift.

Zum Schluss lädt uns Claudia Sprinz dazu ein, das Papier mit unseren Stichwörtern vom Beginn zur Hand zu nehmen und nachzuschauen, ob sich unsere Erwartungen erfüllt haben. Die Methode „Feedback an sich selbst“ stammt von Management-Vordenker Peter F. Drucker. Das Prinzip ist sehr einfach: Bevor etwas startet, Prognosen treffen und hinterher schauen, ob sie gestimmt haben oder nicht. Ziel ist es, mit der Zeit besser verstehen zu lernen, wie wir Entscheidungen treffen und wie wir ticken. Oft schätzen wir nämlich im Nachgang Dinge ganz anders ein.

Den zweiten Teil des Abends eröffnen Andrea Görsch und Katja Rosenbohm, indem sie gleich an das Thema Glück anknüpfen: „Ihr werdet feststellen, dass Gendern auch glücklich machen kann.“

 Warum überhaupt gendern?

Sichtbarkeit: Vielen von uns wird heute ein Text, der nur das generische Maskulinum verwendet, seltsam vorkommen. „Mitgemeint“ ist eben nicht mitgedacht. Es gibt zum Beispiel Untersuchungen, dass Mädchen sich eher vorstellen können einen „typischen Männerberuf“ zu ergreifen, wenn ihnen die weibliche Form (beispielsweise Automechanikerin) öfter begegnet.

Respekt: Es ist ein Zeichen von Höflichkeit, andere Menschen so anzusprechen, wie sie selbst es sich wünschen. Seit 2019 können sich Menschen, die sich weder als männlich noch als weiblich einordnen, als divers bezeichnen. Modernes Gendern bedeutet, alle Personen einzuschließen.

Wie aber nun die Vielfalt der Geschlechter in der Sprache abbilden? Doppelnennung („Schülerinnen und Schüler“) ist die oft naheliegende Lösung, hat aber einen Nachteil: Sie schließt Menschen nicht ein, die sich nichtbinär verorten.

Andererseits finden sich Genderzeichen wie Unterstrich, Doppelpunkt und Genderstern nicht im Regelwerk der amtlichen deutschen Rechtschreibung. Die Referentinnen empfehlen daher im beruflichen Alltag, sie so wenig wie möglich einzusetzen. (Falls Sonderzeichen, dann am besten den Stern. Dies empfiehlt auch der Verband der deutschen Blinden und Sehbehinderten.) Doch wie können wir uns dudenkonform, schön und dennoch sprachlich gerecht ausdrücken? Hier kommt der Werkzeugkasten unserer beiden Referentinnen zum Einsatz.

 Wege fürs Gendern

Wichtig ist: Es gibt nicht die eine richtige Lösung. Je mehr Werkzeuge wir an der Hand haben, desto kreativer können wir werden.

Eine gängige Alternative zum Genderstern ist die Verwendung von Partizip I: Studierende, Teilnehmende. Das hat sich inzwischen eingebürgert, stößt aber nicht immer auf Begeisterung. Manchmal passt besser das Partizip II, das eine abgeschlossene Handlung ausdrückt: Herausgegeben von, Designt von … Darüber hinaus gibt es noch viele weitere Möglichkeiten.

Beispiel Adjektive: Beim Texten oft verpönt, können wir sie beim Gendern gut nutzen. Hat das betreffende Wort ein Adjektiv? Dann einfach „Kritiker“ durch „kritische Stimmen“ ersetzen, „Rat des Psychologen“ durch „psychologischen Rat“.

Beispiel Verben: Statt „Bewerber“ können wir schreiben „Wer sich bewirbt“ oder statt „Studenten“: „Falls Sie studieren“. Zusätzliches Plus: Der Text wird aktiver, lebendiger und gewinnt dadurch.

Alternative Bezeichnungen: Aus „Spezialisten für Text“ werden Textprofis, aus „Mitarbeitern“ wird ein Team, eine Belegschaft, eine Crew.

Direkte Ansprache statt Nennung von Personen: „Für unsere Kunden, Patienten“ wird: „für Sie“. Das macht auch den Text gleich sympathischer und ansprechender!

Manchmal ist es auch eine gute Strategie, darüber nachzudenken, ob in dem aktuellen Kontext überhaupt ein männlicher Akteur erforderlich ist. Beispiele: „Mehr Geld für Rentner“ wird „Die Rente steigt“, aus dem „Rednerpult“ das „Redepult“, statt „anwenderbezogen“ können wir „anwendungsbezogen“, statt „Expertenwissen“ auch „Fachwissen“ sagen.

 Je mehr wir üben, desto leichter fällt uns das das Gendern

Es braucht eine gewisse Routine, oft hilft auch Brainstorming mit Kolleginnen, um bessere Formulierungen zu finden. Andrea: „Und wenn ich dann eine gute Lösung gefunden habe, bin ich glücklich!“. Ihr Tipp: Gute Lösungen für neutrale Formulierungen können wir ablegen und immer wieder verwenden. Sehr viel einfacher, als einen Text im Nachhinein genderneutral umzuschreiben, gestaltet es sich nämlich, direkt schon beim Schreiben das Gendern mitzudenken.

Ein Punkt, der den Referentinnen sehr wichtig ist: Gendern bedeutet auch, Rollenklischees zu vermeiden. Wenn wir beispielsweise über die Lage im Flugzeug erzählen, können wir von einer Pilotin und einem Steward sprechen oder im Unternehmensalltag von einer Chefin und ähnlich.

Auch beim Sprechen gibt es eine pragmatische Lösung: Wenn wir uns mit dem Gender-„Knacks wie bei Tee-Ei“ nicht wohl fühlen, können wir öfter die weibliche Form verwenden.

Am Schluss wird es spannend: Speed-Gendern! Wir bekommen Übungssätze in den Chat, um das Gehörte anzuwenden. Die Antworten zeigen, wie viele verschiedene Lösungsvorschläge es jeweils gibt! Welcher passt, hängt oft vom Kontext ab, aber die Übung zeigt: Wir können kreativ werden.

Katjas Rat zum Schluss: „1. Perfektionismus ist egal, macht einfach. 2. Es sind verschiedene Lösungen möglich. 3. Bleibt gelassen, der Wille zählt.“

Ein wunderbares Motto, das eigentlich für den gesamten Abend gelten konnte. Herzlichen Dank an alle drei Referentinnen!

Die Referentinnen

Claudia Sprinz ist Autorin und Schreibexpertin. Sie vertritt die Sichtweise, dass Schreiben keine Tätigkeit, sondern ein Lebensstil ist. Über die Jahre hat sie mehrere Schreibausbildungen absolviert sowie unterschiedlichste Artikel, Beiträge und Texte für Magazine, Bücher, Websites und für PR verfasst. 2019 ist ihr Roman „Alles auf Anfang“ (Hollitzer Verlag, Wien) erschienen. Als Speakerin war sie bei den Online-Kongressen „be free“ sowie „Durch Happiness zum Erfolg“ dabei. Ein neues Buch ist bereits in Arbeit.

Mehr:
www.youtube.com/c/ClaudiaSprinz
claudiasprinz.blogspot.com
www.instagram.com/claudiasprinz

Andrea Görsch, freiberufliche Werbelektorin, Texterin und Autorin, ist seit 2009 im Netz als Wortladen präsent. Sie textet und lektoriert in der Unternehmenskommunikation und gibt ihr Wissen in Workshops und Coachings weiter.

Katja Rosenbohm ist freiberufliche Werbelektorin und Autorin. Unter ihrem Markennamen „Die Orthogräfin“ lektoriert sie seit vielen Jahren in der Unternehmenskommunikation und ist begeisterte Netzwerkerin.

2021 gründeten sie gemeinsam die Görsch & Rosenbohm GbR und brachten den Ratgeber „Wie Sie im Job korrekt schreiben“ heraus. Seit Juli ist ihr „Workbook Gendern“ über Amazon erhältlich. Außerdem bieten sie Workshops und Textcoachings zum Schreiben und Gendern an.

Mehr:
richtig-gut-schreiben.de
www.instagram.com/richtig.gut.schreiben
www.linkedin.com/company/78350169

 

Text: Esther Debus-Gregor, www.edyssee.de
Fotos: Mandy Ahlendorf, ahlendorf-communication.com