Nachbericht Anja Merkel, Ariane Erdelt: Zwei (gegen Stress) auf einen Streich – der Umgang mit Konflikten und das Leben mit Hochsensibilität

27. Oktober 2022, 19.15 Uhr – der Vortragsabend bei den Webgrrls beginnt. Zu Gast waren Anja Merkel mit dem Thema Konfliktmanagement und Ariane Erdelt, die uns Hochsensibilität näherbrachte.

Konfliktmanagement

Gleich zu Beginn versprach Anja Merkel, besonders alltagstaugliche Highlights aus dem großen Feld des Konfliktmanagements zu präsentieren. Und ging unmittelbar in Dialog mit den Teilnehmer:innen. Sie fragte, wie es uns mit Konflikten gehe. Die Antworten reichten von „Ich bin happy mit Konflikten“ bis „Bei Konflikten möchte ich davonlaufen“. Das Stimmungsbild blieb eher verhalten, es brach kein Jubel aus und es flogen keine Herzen.

Als Nächstes schauten wir uns an, was ein Konflikt überhaupt ist. Nach verschiedenen Reaktionen auf diese Frage im Chat löste Anja auf: Ein Konflikt ist eine Interaktion, bei der es eine Unvereinbarkeit (von Interessen, Denken, Vorstellungen, Wollen, Fühlen etc.) gibt und die als Beeinträchtigung erlebt wird. Sie empfahl uns, eine niedrigschwellige Definition zu wählen. Denn was wir als Konflikt betrachten, wirkt sich auf unser Handeln und Verhalten in Konfliktsituationen aus. Je gelassener wir bleiben, umso weniger Stress entsteht im Vorfeld.

Nutzen von Konflikten

Anschließend ging Anja sogar noch einen Schritt weiter und ließ uns positive Funktionen von Konflikten finden. Nach anfänglichem Zögern sprudelten die Antworten nur so: Perspektivwechsel, „Gewitter reinigen die Luft“, eigene Haltung überdenken, eigenen Standpunkt vertreten, Horizont erweitern, Anregung, etwas anzuschauen/hinzuschauen, Differenzen klären und aussprechen und einige mehr.

Wertschätzen

Wie ein Konflikt verläuft, hängt im Wesentlichen von unserer Ausgangssituation ab: Wie ist mein Energielevel? Wie gehe ich einen Konflikt hinein? Das Zauberwort lautet „Wertschätzung“. Folgende Fragen können wir uns dafür zur Selbstreflexion zu unserer eigenen inneren Grundhaltung stellen:

  • Wie sehe ich mich?
  • Wie sehe ich mein Gegenüber?
  • Kann ich mein Gegenüber als Person okay empfinden?
  • Bin ich okay mit mir?
  • Sind wir auf Augenhöhe? Keine über der anderen?

Im Zweifelsfall kann Unterstützung von außen helfen, etwa durch unbeteiligte Personen, Coaches oder Mediator:innen.

Wahrnehmen – Interpretieren – Fühlen

Wie meist ist auch bei Konflikten eine gute Vorbereitung sinnvoll. Wir sollten uns fragen, wo wir stehen und wie wir uns gut wappnen können. Dazu gehört auch, den Konflikt sorgfältig zu analysieren. Laut Anja liegen 80 bis 90 Prozents des Erfolgs in der Vorbereitung. Dabei wird der Prozess in drei Empfangsvorgänge zerlegt: „W-I-F“.

  1. Wahrnehmen: Schwingungen, Menschen, Hören, Beobachten, geschieht „wertneutral“
  2. Interpretieren und Bewerten: unterbewusst (Stereotyp) und bewusst (Hypothese)
  3. Fühlen: Welche Emotionen habe ich? Ärger, Freude

Die Vorteile der Formel liegen in der „objektiveren“ Sicht auf den Konflikt. Mit einem analytischen Blick kann ich mich besser steuern, Distanz herstellen und entwickle Verständnis für mein Gegenüber. Ich agiere und arbeite aktiv an einer Lösung zum Wohle aller Beteiligten. Im Gespräch ist es wichtig, mit Ich-Botschaften bei mir anzufangen. Ein gutes Handlungskonzept lässt sich aus der Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg ableiten.

Wahrnehmen – Wirkung – Wunsch

Aktion statt Reaktion ist der Schlüssel. Es empfiehlt sich, Konflikte konstruktiv anzusprechen. Hier gilt das Prinzip „W-W-W“: Wahrnehmen, Wirkung, Wunsch. Was möchte ich von meinem Gegenüber? Was ist mein Ziel? Anja weist darauf hin, dass wir nie ohne Ziel in das Gespräch gehen sollten. Am Ende des Gesprächs sollten wir unbedingt Vereinbarungen treffen und diese verbindlich fixieren.

Alles in allem: Anja hat mich überzeugt, ich werde Konflikte ab jetzt wertneutraler und ohne negative Szenarien angehen. Und: Als erfahrene Rechtsanwältin weiß Anja, dass uns Recht in Konfliktsituationen nicht weiterbringt. Es geht nicht ums Rechthaben, sondern darum, konstruktiv miteinander zu sprechen.

Aus dem Kopf ins Fühlen

Mit einer kleinen Bewegungspause brachte uns Jessica Leicher wieder von der Konzentration im Kopf ins Fühlen. Mit den Füßen fest auf dem Boden erdeten wir uns. Schütteln und Auslockern machten uns wieder leicht und offen für den zweiten Teil des Vortragsabends mit Ariane Erdelt.

Hochsensibilität

Auch Ariane Erdelt stellte uns zu Anfang ihres Vortrags einige Fragen:

  • Wer ist hochsensibel?
  • Wer kennt jemanden in der Familie?
  • Wer hat sich testen lassen?
  • Warum ticke ich so wie ich ticke?

Und dann erklärte sie: Hochsensibilität bedeutet, dass Dinge im Außen und Innen stark wahrgenommen werden. Sie ist keine (psychische) Krankheit, vielmehr spielen Erbanlagen eine große Rolle. Im Alltag bedeutet das, vorsichtig mit sich zu sein und sich bewusst zu machen, dass man manchmal mehr Zeit für sich braucht.

Bin ich falsch?

Hochsensible Menschen, die sich mit dieser Eigenschaft noch nicht genauer auseinandergesetzt haben, meinen oft, verrückt zu werden, falsch zu sein, fühlen sich die meiste Zeit über angespannt. Sie wissen manchmal nicht, ob sie gerade ihre eigenen Gefühle wahrnehmen oder die der anderen. Da sie vieles gründlicher verarbeiten als andere, brauchen sie mehr Zeit.

Licht und Schatten

  • Sonnenseiten: starkes ästhetisches Empfinden, verstärkte Wahrnehmung von Musik, Klängen, Licht.
  • Schattenseiten: Überstimulation, Hitze, Kälte, geräusch- und lichtempfindlich, Druck, Neigung zu Selbstzweifeln und Selbstkritik, Hang zum Perfektionismus, Phasen von Weltschmerz, Konfliktscheue
  • Weitere Merkmale: neugierig, begeisterungsfähig, „himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt“, melden sich als Letzte bei großen Gesprächsrunden, reagieren stark auf negatives Feedback, äußerst motivierend, geben positives Feedback, nutzen Gruppen als moralische Wächter, Freundschaften gehen sehr tief, Schönheit, Natur, Kunst, Musik schenkt Glücksgefühle

Tipps aus eigener Erfahrung

Ariane Erdelt ist selbst hypersensibel. Früher fühlte sich das für sie wie ein Makel an: Sie war fürchterlich ängstlich, in der Schule gewissenhaft, fleißig, häufig müde, fühlt sich wie eine Versagerin, nicht zugehörig. So konnte sie sich zum Beispiel abends nicht noch mit Freunden in der Kneipe treffen, sie war vom Tag schon gesättigt. Heute kann sie gut damit umgehen, sie hat über die Jahre gelernt, was ihr guttut und was nicht.

Wichtig ist, dass Hypersensible für sich herausfinden, was sie brauchen. Stichwörter: Selbstfürsorge, mit dem Vergleichen aufhören, Körpersignale ernst nehmen und rechtzeitig reagieren, auf die Menge an Input achten (Absturzgefahr), ausreichend Pausen, Ruhe, Alleinsein. Helfen kann ein gute Pausenplanung im Kalender, genug Schlaf, Meditation, viel trinken (Cortisolabbau ankurbeln).

Arianes Rat: Dein Körper ist wie der eines Kleinkinds. Gib ihm zu trinken, zu essen und denke daran, dass er vieles braucht. Sorg gut für dich, nimm eine Trinkflasche mit, einen Snack für unterwegs und auch eine Jacke. Kommuniziere liebevoll mit deinem inneren Kind, sei dabei wohlwollend und achtsam.

Im Alltag

Jeden Tag sollten Proteine auf dem Speiseplan stehen, die Aminosäuren sorgen dafür, dass Botenstoffe gut gebildet werden können. Geeignet sind Hülsenfrüchte und Fisch. Wer Unverträglichkeiten erkennt, kann entsprechend essen. Hochsensible brauchen häufig eine andere Dosis von Medikamenten, sind schmerzempfindlicher. Besonders wichtig: Finde heraus, wie du am besten auflädst. Leg eine Liste an: spazieren gehen, ein Bad nehmen, Tee trinken. Achtung: Wenn du es nicht schaffst, zur Ruhe zu kommen, kann es passieren, dass dich Emotionen überschwemmen. Das wiederum kann zu Müdigkeit, Depressionen und Wutausbrüchen führen. Ja, wir können unser Schicksal mit kleinen und großen Dingen selbst beeinflussen. Wichtig ist aber, uns erst einmal so zu akzeptieren, wie wir sind.

Weiterführende Hinweise

  • zartbesaitet.net, dort gibt es auch einen Test
  • Elaine N. Aron: Sind Sie hochsensibel? Wie Sie Ihre Empfindsamkeit erkennen, verstehen und nutzen. mvg 2005.

Die Referentinnen

Anja Merkel unterstützt mit vollem Herzblut Menschen und Organisationen in Veränderungsprozessen: maßgeschneidert, kreativ und wirkungsvoll. Nach über einem Jahrzehnt als Fachanwältin für Familienrecht und Strafverteidigerin arbeitet sie heute ausschließlich als Coach und Mediatorin, im Bereich Konflikt-/Stressmanagement sowie als Resilienz-Trainerin und Profilerin. Ihr juristisches Wissen lässt sie dabei weiterhin gewinnbringend für ihre Klient:innen einfließen. Etwas ganz Besonderes sind die mecome-Frauenformate und die mecome-Juristenformate, die Anja Merkel anbietet.

Mehr:
www.mecome.de

Ariane Erdelt ist Schauspielerin, seit 2008 systemischer Coach und 58 Jahre alt. Sie kennt die Herausforderungen eines künstlerischen Berufs und der freiberuflichen Selbstständigkeit – zudem die schönen und schwierigen Zeiten als Partnerin und Mutter. Seit 1988 ist sie verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne. So manche Krise hat sie reifen lassen und sie hat gelernt, immer wieder aufzustehen und „ihre Krone zu richten“. Zusammen mit ihrem Mann hat sie viele Jahre Eheseminare gegeben und selbst sehr davon profitiert. Sie ist interessiert an Persönlichkeitsentwicklung, Theater, Kunst und Tanz und liebt es, in der Natur zu sein. Und sie mag Abwechslung und Herausforderungen, was oftmals mit hohem Stress verbunden ist. Ariane weiß, wie wertvoll ein gutes Stressmanagement ist. Achtsamkeit und Selbstfürsorge sind ihr wichtige Begleiter, im Leben wie im Beruf.

Mehr:
www.ariane-erdelt-coaching.com
www.actorsmanagement.de

PDFs zum Vortrag von Anja Merkel und von Ariane Erdelt.

Text: Mandy Ahlendorf, www.ahlendorf-communication.com, Jessica Leicher, www.leichter-mit-leicher.de
Fotos: Mandy Ahlendorf, www.ahlendorf-communication.com